Nachdem wir uns gestern schon einen kleinen Überblick über den Tagesablauf im Krankenhaus verschaffen konnten starten wir heute in den zweiten Arbeitstag. Jetzt auch ganz offiziell mit Namensschild, wenn auch zunächst mit vertauschten Fotos…
Dieser beginnt nach dem Meeting wie immer mit der Visite der internistischen Patienten – auch hier haben wir wie in Deutschland viele Fremdlieger 🙂 Und auch hier gibt es die gelegentlichen Sticheleien zwischen Chirurgen und Internisten sowie die leidenden jungen Kollegen, die nach der durchgeackerten Nacht mit Fragen über die kruden Eigennamen bestimmter Lymphknotenschwellungen am Hals ausgefragt werden („Das müsst ihr für das Examen wissen!“). Auf der Intensivstation ist der Patient mit Organophosphatvergiftung, der gestern noch bewusstlos war, mittlerweile wach und ansprechbar. Dr Gaurav, einer der hier arbeitenden internistischen Oberärzte, der viel lacht und uns zuliebe seine Visite auf englisch führt, erklärt uns, dass dies ein hier häufig zu sehendes „Krankheitsbild“ ist. Die Leute vergiften sich entweder akzidentell oder in suizidaler Absicht mit Insektiziden, was (hier ein bisschen Mediziner- Geekyness. — sorry an alle Laien ;)), wir erinnern uns ans Studium, zu einer Hemmung der Acetylcholinesterase führt und dadurch zu einer parasympathomimetischen Wirkung mit Schweißausbrüchen, Bronchospasmen, Bradykardien, Diarrhöen und allem was dazu gehört führt. Zudem kommt es zu Muskelspasmen und Lähmungen. Die Patienten erhalten hier zunächst hohe Dosen Atropin, welches dann, nachdem ein suffizienter Anstieg der Herzfrequenz und weite Pupillen beobachtet werden, langsam reduziert wird. (Ja ich musste das auch noch mal genau nachlesen ;)). Spannend zu sehen, wie hier (und auch in vielen anderen Fällen) anstatt repetitiver laborchemischer oder radiologischer Kontrollen anhand der klinischen Parameter und Untersuchungsbefunde die Therapie angepasst wird. Entlassen wird wer nach Beginn der Antibiotikatherapie bei Diarrhöen fieberfrei ist. Ungewöhnlich ist für uns auch, wie häufig Diarrhöen hier tatsächlich antibiotisch behandelt werden, was aber natürlich damit zusammenhängt, dass hier die wahrscheinlichste Diagnose bei Diarrhöen oder Bauchschmerzen nicht ein simpler Virusinfekt, eine Nahrungmittelvergiftung oder Verstopfung sondern eben die Amöbenruhr oder Typhus ist. Beides ist uns sowohl gestern als auch heute schon mehrfach begegnet. An alle Leser für die der Kampf um Einzelzimmer zur Tagesordnung gehört – isoliert wird hier nicht. Und trotzdem scheint sich hier nicht die komplette Station – die sich übrigens in einem einzigen Raum mit 10-15 Betten befindet (allerdings getrennt nach Geschlechtern, es gibt einen Male und einen Female Ward)- anzustecken. Wie das erreicht wird hoffen wir noch herauszufinden. Es gibt zwar kleine Zimmer für ein oder zwei Patienten, aber die sind (und auch das kennen wir) zuzahlenden Patienten vorbehalten.
Im Outpatient Department (OPD) teilen wir uns heute auf die zwei Untersuchungszimmer auf. Auf meiner Seite kann ich heute nicht viel tun, da es niemanden zum übersetzen gibt und so sitze ich neben der Oberärztin und versuche deren Anamnese auf nepalesisch zu folgen (hoffentlich lässt sich dies in den nächsten Tagen noch optimieren) aber Morzl hat Glück. Ihm hilft im Nebenzimmer Schwester Sano, die sehr gut Englisch spricht, schon seit über 30 Jahren dort im Krankenhaus arbeitent und für die administrativen Tätigkeiten im OPD zuständig ist, indem sie übersetzt, sodass er mit Moon, einer der House Officers ( vergleichbar mit unseren Assistenzärzten) die Patienten gemeinsam untersuchen und behandeln kann.
Dr Gaurav ist übrigens der Vorname des Arztes. Die Ärzte werden hier (auch von den Patienten) zwar respektvoll mit Doktor, aber dennoch familiär mit dem Vornamen angesprochen. Irgendwie fühle ich mich ein wenig an ein Kinderbuch erinnert wenn ich mit mit „Hallo, ich bin Dr Cathrin, ich werde mich um sie kümmern“ vorstelle 🙂 Andererseits werden auch die Patienten teilweise auch zB mit „Ama“ (Mutti) angesprochen, und es ist schon irgendwie niedlich zu hören, wie die 76-jährige winzige, braunrunzlige nepalesische Omi in ihren leuchtend roten Gewändern und bunten Armreifen, die graugesträhnten Haare zu einem strengen Dutt zusammengebunden der von einem mit Stoffrosen verzierten Haargummi gehalten wird, die Ohren vollbehangen mit schwerem Goldschmuck, die Nase verziert mit einem goldenen Blümchenpiercing, von der Ärztin angesprochen wird mit „Nun erzähl mir Mütterchen, was fehlt dir?“ (natürlich in der respektvollen Version des nepalesischen „du“, von dem meines Wissens mindestens 3 Versionen für verschiedenen Höflichkeitsstufen existieren). Das Anreden von Personen mit familiären Bezeichnungen gehört generell zur Umgangssprache. Der junge Verkäufer im Straßenshop wird mit „junger Bruder“, die Verkäuferin im Joghurtladen mit „ältere Schwester“ angesprochen.
Zur Verbesserung unserer Nepalesischkenntnisse sollten wir auch heute Nachmittag während einer ruhigeren Zeit im Outpatient Department noch Gelegenheit bekommen. Dort saßen wir nach dem Mittagessen mit Moon und Sano und probierten nepalesische „Süßigkeiten“; eine Art Esspapier aus Früchten deren Geschmack von Sano als „süß-sauer“, von uns aber eher als „salzig-eklig“ beschrieben wurde. Unsere Gesichter beim probieren dieser Leckerei sorgten für allgemeines Gelächter, ebenso die Seite unseres Bilderwörterbuches, die die verschiedenen internationalen Toilettenarten darstellt. Mit Moon und Sano übten wird dann auch noch ein paar wichtige Sätze für die Anamnese sowie die Körperteile auf nepalesisch und unsere Bemühungen trugen sichtlich zur Belustigung aller Anwesenden bei, die uns aber versicherten, so könnten wir schon bald die Anamnese alleine erheben… Wir werden sehen…
Zuhause angekommen brachte uns K., die mit ihrem Mann dessen freien Tag in Kathmandu verbracht hatte um an kulinarischen Luxusgütern wie Käse oder Pizza aufzustocken, ein kleines Mitbringsel aus der Bäckerei mit – „European Bread“ 🙂 Naja, auch dieses ist eigentlich Toastbrot mit ein paar Vollkornflocken drauf aber lecker und eine liebe Geste. Heute Abend also zur Abwechslung vom Dhal Bhat (Morzl ergatterte übrigens beim Mittagessen die letzte Portion der bei den Angestellten sehr beliebten Momos in der Kantine) Erdnussbuttersandwiches mit Gurke (mit abgekochtem, gefilterten Wasser und Seife abgewaschen und geschält ;)) und nepalesische Choco Pops.
We treat God heals….na dann kann ja nix mehr schief gehen 😉