Ein trauriger Tag

Schon heute morgen auf dem Weg zur Arbeit fiel uns eine große Menschenmenge auf der Straße vor dem Krankenhaus und vor der Wartehalle der Klinik auf.  Menschen allen Alters standen in kleinen Grüppchen nebeneinander oder in größeren Kreisen um einen zentralen Sprecher versammelt auf dem Gelände herum. Es konnte sich hierbei nicht einfach nur um ein verstärktes Patientenaufkommen handeln, dem das Scheer Memorial in diesem Ausmaß auch sicher nicht gewachsen wäre.  Auch war der Wachschutz der Klinik, der sonst das Tor und die Eingänge zu einigen Abteilungen bewachte an diesem Tag verstärkt worden. Vllt handelte es sich bei den uniformierten und bewaffneten Männern aber auch um Polizisten oder Soldaten, die heute extra zu uns abkommandiert worden waren.


Später erfuhren wir, dass es sich bei den geduldig wartenden Menschen um Angehörige der Opfer eines schweren Verkehrsunfalles handelte, der sich gestern Mittag Ca 50 km von Banepa entfernt ereignet hatte. Anup hatte uns bereits gestern davon erzählt und das ganze Krankenhaus hatte den Nachmittag in gespannter Erwartung verbracht, da mit einem Massenanfall von Verletzten gerechnet wurde. Zunächst war von 15 Toten noch am Unfallort die Rede, später hieß es gar 30 wären gestorben. Als auch nach mehreren Stunden keine Verletzten angeliefert wurden, war klar, dass unser Krankenhaus wohl keine Patienten mehr bekommen würde. Ein Hubschrauber war von Kathmandu aus gestartet und brachte die Patienten in die Krankenhäuser in Kathmandu. Erst heute erfuhren wir, was wirklich passiert war. Ein wie immer vollkommen überfüllter Bus mit knapp 90 Passagieren, viele davon wie wir es oft beobachtet hatten auf dem Dach des Buses reisend, war auf einer schmalen Bergstraße unterwegs gewesen. Auf der nach den heftigen Regenfällen schlammigen und rutschigen Straße hatten auf einem steil ansteigenden Stück die Bremsen versagt und der Bus war rückwärts die Straße hinuntergerollt und dann einen 150m tiefen Abhang hinunter gefallen. Diese Geschichte wurde von einem Überlebenden berichtet, der auf dem Dach des Busses gesessen hatte und gerade noch rechtzeitig abspringen konnte, bevor der Bus den Abhang hinunterstürzte. Ein tragisches Beispiel für die mangelnde Sicherheit vieler Straßen und Verkehrsmittel, auf die natürlich besonders die ländliche Bevölkerung angewiesen ist.  Anup und ein weiterer Kollege waren gestern Nachmittag noch mit der Ambulanz zur Unfallstelle gefahren, aufgrund der schwierigen Straßenverhältnisse und nassen Straße aber kaum voran gekommen, sodass sich auch die Bergungsarbeiten schwierig gestalteten. Heute konnten nun auch die 35 Toten geborgen werden und sollten zu unserer Klinik gebracht und hier aufgebahrt werden, um von ihren Angehörigen identifiziert zu werden und – nach der Leichenschau durch einen angereisten Amtsarzt – mit nach Hausse genommen zu werden. Gläubige Hindus werden in der Regel nach ihrem Tod verbrannt. Ein bekannter Ort für dieses letzte Ritual sind zum Beispiel die sogenannten „ghats“ am Bagmati Fluss hinter dem Pashupathinath Tempel in Kathmandu. Angesichts der Tragödie zeigten sich die den ganzen Tag über geduldig in der Sonne ausharrenden Menschen beeindruckend ruhig und gefasst, sodass das Prozedere offenbar geordnet und ruhig von Statten gehen konnte.

http://www.sueddeutsche.de/panorama/verkehrsunfall-mindestens-menschen-sterben-bei-busunfall-in-nepal-1.3121874

Über den Umgang der (größtenteils hinduistischen) Bevölkerung mit Krankheit und Tod konnten wir diese Woche auch anhand des Beispiels eines schwerkranken Patienten auf der Intensivstation (schwere COPD, Sauerstoffabhängig, Lungenentzündung ohne Besserung nach mehreren Zyklen verschiedener Antibiosen) etwas erfahren. Ein Großteil der Patienten verstirbt – im Gegensatz zu Deutschland – tatsächlich noch im Kreise ihrer Famlilie, da es als schlechtes Zeichen gilt, wenn ein Angehöriger im Krankenhaus verstirbt. Sobald abzusehen ist, dass die Medizin am Ende ihrer Möglichkeiten und der Patient am Ende seines Lebens angelangt sind, holen die Verwandten ihn lieber rasch nach Hause, als ihn oder sie noch lange unnötig im Krankenhaus leiden zu lassen. Das Krankenhaus sorgt dafür, dass ausreichend Schmerzmittel oder andere benötigte Medikament für die letzten Tage verfügbar sind und der Patient darf – wie es sich sicher auch viele unserer Patienten es wünschen würden – in seiner häuslichen Umgebung versterben. Natürlich gibt es auch hier plötzliche und unerwartete Todesfälle im Krankenhaus, aber in absehbaren Fällen werden die Patienten nach Hause geholt. Außerdem ist mindestens ein Familienmitglied den ganzen Tag im Krankenhaus, in einigen Zimmern gibt es sogar kleine Pritschen, auf denen diese die Nacht verbringen können. Dies wird vom Krankenhaus nicht nur geduldet sondern ausdrücklich erwünscht, da die Angehörigen unter anderem Medikamente aus der Apotheke besorgen, den Patienten bei der Morgentoilette assistieren oder für deren Verpflegung (für die das Krankenhaus nicht aufkommt) sorgen. Die Schwestern und Pfleger werden so natürlich immens entlastet, da für sie Tätigkeiten wie Waschen, Windeln wechseln oder Essen anreichen wegfallen. Lediglich die Patienten der Intensivstation kommen in den Genuss dieses (wie unsere nepalesische Kollegin es ausdrückte) „Privilegs“. Ein weiterer Fakt den unsere pflegerischen Kollegen sicher begrüßen würden – es gibt hier keine Klingeln in den Zimmern! 🙂
Auch führt die ständige Präsenz der Angehörigen nicht dazu, das ärztliches und pflegerisches Personal unentwegt mit Fragen und bitten bedrängt wird, vielmehr können so die besorgten Ehepartner, Kinder oder Eltern bei der Visite sofort mit in die Behandlung einbezogen werden und über den neusten Stand informiert werden.

Nach dem heutigen etwas traurigen Blogeintrag aber zum Ende noch ein Foto und eine kleine Anekdote aus dem Outpatient Department zur Aufheiterung: Dort stellte sich heute eine ältere Dame in Begleiteung ihrer Tochter und zweier Enkelkinder vor. Eines davon ein properer Säugling auf dem Arm seiner Mutter, der uns unentwegt sein zahnloses Grinsen schenkte, das andere ein quirliges Ca 3 jähriges Mädchen das in seinem Jeansröckchen auf den Stühlen und Bänken im Arztzimmer herumkletterte und irgendwann anfing, mir mit seinen Patschfingerchen im Gesicht herumzustreichen. Ob es noch nie eine Ausländerin gesehen hatte und mal wissen wollte, ob die sich denn genauso anfühlen oder was der Sinn dieses kleinen Spiel war weiß ich nicht, aber seine Mutter wies es mit strenger Stimme zurecht und ermahnte sie wahrscheinlich, dass es sich nicht gehörte fremden Menschen, besonders der Frau Doktor, im Gesicht herum zu tatschen. Die Kleine antworte mit einem Krakelen, das ich natürlich ebenfalls nicht verstand, welches aber in jeder Sprache als trotzig-freche Erwiederung zu verstehen war. Während die Mutter noch schockiert über das ungebührliche Verhalten ihrer Tochter in der Öffentlichkeit war, griff George, der Clinical Assistent, in seine Schreibtischschublade und legte schweigend aber mit einem vielsagendem Blick in Richtung der Kleinen ein Fläschchen Medizin und eine  enorme vorsintflutliche Spritze, die in dieser Asuführung sicher auch in Nepal nicht mehr verwendet wird, vor sich auf den Tisch. Von da an war das Mädchen ein Musterbeispiel an Wohlerzogenheit und blieb brav und schweigsam auf einem der Stühle sitzen, bis Omi fertig mit ihren Untersuchungen war. Ob sie durch diese Erziehungsmethode in Zukunft aber ihre Angst vor dem Onkel Doktor verlieren wird ist fraglich 🙂

Geballte Kompetenz im Outpatient Department!! Untere Reihe: Weiblicher Clinical Assistant deren Namen wir leider vergessen haben (heutige Vertretung für Sanu, die leider nicht da war :( ) , Dr Marcel, Dr Cathrin, Dr Gaurav und Dr Moon. Zweite Reihe: Dr Pratisha und Clinical Assistant George
Geballte Kompetenz im Outpatient Department!!
Untere Reihe: Weiblicher Clinical Assistant deren Namen wir leider vergessen haben (heutige Vertretung für Sanu, die leider nicht da war 🙁 ) , Dr Marcel, Dr Cathrin, Dr Gaurav und Dr Moon.
Zweite Reihe: Dr Pratisha und Clinical Assistant George

 

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